Akute Schulterinstabilität

In diesem Beitrag informiert Sie Dr. med. Alexander Rukavina über die akute Schulterinstabilität. Sie erhalten einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse bezüglich Klinik, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten dieser Erkrankung bzw. Verletzung.

 

Die akute Schulterinstabilität

Definition

Die Schulterluxation ist definiert als vollständiger Kontaktverlust zwischen Oberarmkopf und Gelenkpfanne, die einer Reposition bedarf (3). Demgegenüber beschreibt die Subluxation eine vermehrte Translation unter Belastung, die sich bei weiter ausbleibender Belastung spontan reponiert (4). Mit Laxität bezeichnet man die physiologische Gelenkstranslation, die den vollständigen Bewegungsumfang des Gelenks ermöglicht (5). Eine über das physiologische Mass hinaus gesteigerte Laxität, wird als Hyperlaxität bezeichnet (6).

Epidemiologie

Die Luxation der Schulter ist eine eher seltene Verletzung und tritt häufiger bei Männern auf, als bei Frauen. Im Adoleszentenalter zwischen 14 und 17 Jahren findet sich eine Luxationsrate von etwa 4.2% (1). Die unidirektionale anteriinferiore Instabilität ohne Hyperlaxität stellt die häufigste Form dar. Die posteriore Schulterluxation tritt in 1-4% der Fälle auf und ist oft mit epileptischen Anfällen oder nach Stromunfällen zu beobachten (2).

Pathoanatomie

Der sogenannte Labrum-Kapsel- Komplex ist ein wesentliche Stabilisator des Schultergelenks. Dieser kann an verschiedenen Stellen verletzt werden:

  • Am glenoidalen Ansatz (pfannennah)
  • Im Bereich der Kapsel-Bansstrukturen
  • Am humeralen Ansatz (oberarmkopf-nah)

Die klassische Bankart-Läsion ist ein Abriss der Gelenkslippe. Wenn es im Rahmen des Traumas zu einem zusätzlichen knöchernen Abriss von Glenoid kommt, so wird diese Verletzung als knöcherne Bankart-Läsion bezeichnet. Von einer Bankart-Fraktur spricht man, wenn der knöcherne Abriss mehr als ein Drittel der Gelenkfläche betrifft.

Die Hill-Sachs-Läsion stellt eine posterosuperiore Impressionsfraktur des Oberarmkopfes dar, welche nach einer vorderen Schulterluxation entsteht. Bei der hinteren Luxation tritt der Defekt entsprechend anterosuperior auf und wird dann als Reversed-Hill-Sachs-Läsion bezeichnet.

Eine zusätzliche Verletzung der Rotatorenmanschette kann begleitend auftreten und wird gehäuft bei Patienten über 60 Jahren gesehen.

Begleitverletzungen des N. axillaris werden nach Erstluxationen in 14-21% der Fälle beobachtet (7). Hierbei muss zwischen temporären Nervenschäden und Dauerschäden oder sogar Plexusläsionen unterschieden werden (4).

Klassifikation

Die Zwei-Säulen-Einteilung nach Matsen hat sich für den klinischen Alltag bewährt (8):

TUBS (Traumatisch Unidirektional, Bankart-Läsion, „Surgical repair“)
AMBRI (Atraumatisch Multidirektional, Bilateral, Rehabilitation, „Inferior capsule shift“)

Akutbehandlung

Standardmässig erfolgt eine kurze orientierende Untersuchung mit Beurteilung des neurovaskulären Status, insbesondere des N. axillaris. Anschliessend Röntgen der betroffenen Schulter in zwei Ebenen. Bei Bestätigung der Schulterluxation ist die rasche und schonende Reposition anzustreben. Danach muss erneut die radiologische Dokumentation und der neurovaskuläre Status erhoben werden. Wir empfehlen die Ruhigstellung im Gilchrist-Verband und die zeitnahe MRI-Untersuchung zur Beurteilung der Kapselband-Verletzung und auch zum Ausschluss von Verletzungen der Rotatorenmanschette, die vor allem bei älteren Patienten häufig beobachtet wird.

Repositionstechniken

Hier stehen eine Vielzahl von Techniken zur Verfügung. Jeder Mediziner hat seine favorisierte Technik. Eine ausreichende Analgesie ist Voraussetzung für die schonende Reposition.

Wir favorisieren die intraartikuläre Infiltration mit Ropivacain und die Reposition am sitzenden Patienten mit leichten axialen Zug und gleichzeitiger Aussenrotation.

Therapie

Die Therapieform richtet sich vor allem nach dem Alter des Patienten und dem hieraus resultierenden Risiko für eine erneute Luxation der Schulter. Vergleichsstudien an Patienten unter 30 Jahren beschreiben unter der konservativen Therapie eine Reluxationsrate zwischen 47-80% (9,10,11). Bei Patienten über 40 Jahren liegt die Reluxationsrate bei nur 16% (12).

Im Rahmen der konservativen Therapie empfehlen wir die Ruhigstellung im Gilchrist-Verband während 3 Wochen, sowie keine Aussenrotation während den ersten 4 Wochen. Längerfristige Ruhigstellung senken die Reluxationsrate nicht (13). Im Anschluss physiotherapeutische Beübung während mindesten 3 Monaten.

Bei dem Vorliegen von folgenden Faktoren ist die Indikation für ein operatives Vorgehen gegeben:

  • Patientenalter20%
  • Knöcherner Bankartdefekt
  • Rezidivierende Instabilität unter konservativer Therapie
  • Begleitende Rotatorenmanschettenruptur

Angestrebt wird die anatomische Rekonstruktion der Kapsel-Band-Verletzung. Diesen Eingriff kann man arthroskopisch gut realisieren. Sollte dieser Eingriff nicht zu einer befriedigenden Stabilität führen, so besteht die Möglichkeit einer extraanatomischen Rekonstruktion. Hierbei erfolgt ein Transfer des Korakoids auf den ventralen Anteil des Gleinoids (Latarjet-Procedere).

Hintere Instabilität

Die seltene hintere Schulterluxation entsteht durch ein axiales Stauchungstrauma. Desweiteren tritt diese Verletzung gehäuft bei Stromunfällen und im Rahmen eines epileptischen Anfalls auf. Entscheidend ist, dass diese Verletzung nicht übersehen wird (Abb1) und rasch reponiert wird, wobei hier die Reposition anspruchsvoller ist und in der Regel in Vollnarkose reponiert werden muss.

Neben den Verletzungen des dorsalen Kapsel-Bandapparates können knöcherne Läsionen des Glenoids auftreten. Eine ausgeprägte „Reversed Hill-Sachs-Läsion“ birgt das Risiko von rezidivierenden Schulterluxationen und muss einer operativen Intervention zugeführt werden.

Zusammenfassung

  • Die Luxation der Schulter tritt vor allem bei jungen Patienten auf und ist meist traumatisch bedingt
  • Junge Patienten neigen nach adäquatem Trauma zu einer chronischen Schulterinstabilität. Hier ist die Indikation zur operativen Rekonstruktion grosszügig gestellt werden.
  • Neben Röntgenaufnahmen, zählt die klinische Untersuchung zur Basisdiagnostik. Eine MRI Untersuchung sollte zur Sicherung der Diagnose und Beurteilung der Kapselband-Läsionen, sowie Beurteilung der Rotatorenmanschette erfolgen.
  • Die Ruhigstellung im Rahmen der konservativen Therapie kann auf 3 Wochen beschränkt werden.

Literatur

(1) Postacchini F et al. „Anterior shoulder dislocation in adolencents“ J Shoulder Ellbow Surg; 9: 470-474; (2000)
(2) Perron AD et al.“ Posterior Shoulder dislocation: avoiding a missed diagnosis.“ AM Emerg Med; 18: 189-191; (2000).
(3) Walch G et al. : “Instabilités et luxation de l`épaule (articulation glénohumérale).“ Editions Techniques-Encycl Méd Chir, Appareil Locomoteur; 14037
A10: 1-14. (1991).
(4) Schneider B et al.: “Die akute Schulterinstabilität“ Op Journal; 29: 233-239 (2013).
(5) Matsen FA et al. : “Principles of the evaluation and management of shoulder instability.“ Instr Course Lect; 56 : 23-34 (2007)
(6) Habermeyer P et al.: “Shoulder Instability. Classification and treatment.“ Der Orthopäde;33 :847-872 (2004).
(7) Loew M et al. : “Injury pattern in shoulder dislocation in the elderly Patient.“Unfallchirug 104:115-118 (2001)
(8) Matsen FA et al: “Practical Evaluation and Management of the Shoulder“ Philadelphia/PA : Saunders (1994)
(9) Arciero RA et al.: “Arthroscopic Bankart repair versus nonoperative treatment for acute, initial anterior shoulder dislocation.“Am J Sports Am ; 22 : 589-594 (1994)
(10) Bottoni CR et al. : “A prospective, rthroscopic Bankart repair versus nonoperative treatment for acute, initial anterior shoulder dislocation.“ Am J Sports Am ; 22 : 589-594 (1994)
(11) Jacobson BW et al. : “Primary repair versus konservative treatment of first-time traumatic anterior dislocation of the shoulder : a randomized study with 10-year follow-up.“ Arthroscopy 23 :118-123 (2007)
(12) Rowe CR : “Prognosis in dislocations of the shoulder.“ J Bone Joint Surg Am; 38 : 957-977 (1956)
(13) Habermeyer P et al.: “Treatment strategy in first traumatic anterior dislocation oft he shoulder. Plea for a multi-stage concept oft preventive initial mangement.“unfallchirurg; 101 : 382-341 (1998)